ADFC Hessen: Nachrichten

25.1.2017

ADFC-Themenabend Ohne Stress in der Stadt Rad fahren?!

Der Glücklichmacher

Thiemo Graf

Geschimpft über verfehlte Verkehrspolitik und fehlende Radverkehrsförderung wird reichlich. Konstruktiv diskutiert wird darüber aber noch viel zu wenig, meint der ADFC Hessen. Daher veranstaltete der Landesverband nun einen ersten verkehrspolitischen "ADFC-Themenabend", dem weitere folgen sollen, wie Geschäftsführer Norbert Sanden bei der Begrüßung der über 50 Gäste erläuterte, die in den Saalbau Gallus gekommen waren, um zu erfahren, wie "Ohne Stress in der Stadt Rad fahren" möglich sein könnte.

Einen neuen, weil auf subjektiven Wahrnehmungen und Gefühlen der Verkehrsteilnehmer beruhenden Ansatz, vertritt Thiemo Graf vom Institut für innovative Städte aus Nürnberg: Wenn Verkehrsplaner ängstliche Menschen dazu auffordern, ihre Gefühle zu ändern, statt die Gründe für die Angst zu beseitigen, läuft etwas grundlegend verkehrt, meint Graf. Denn seit Freud sei bekannt, dass die Handlungen der Menschen überwiegend nicht durch rationale Argumentation, sondern von unbewussten Motiven geleitet werden. Wer das Verhalten der Menschen ändern möchte, muss das berücksichtigen.

Während furchtlose Radler unter allen und Nicht-Radler unter keinen Umständen Rad fahren, gibt es dazwischen eine zwei Drittel der Bevölkerung umfassende Zielgruppe, die vor allem dann und dort aufs Rad steigt, wenn sie weder Stress noch ein Unsicherheitsgefühl empfindet. Die Verkehrsverhältnisse sollen die Sicherheit schaffen, nicht das "Sich-selbst-schützen" der Radler. In Holland und Dänemark ist das so. Deshalb werden Fahrradhelme dort als entbehrlich betrachtet, nur Touristen tragen sie.

Abhilfe sucht Graf nicht nur in einer Separierung von Radwegen, auch eine geradlinigere Wegführung und das Vermeiden von unnötigen Ampelstopps trägt zur Beseitigung von Stress bei. Je weniger Stress man im Verkehr empfindet, umso glücklicher sei man. Deshalb sieht Graf seine Mission durchaus darin, "Menschen glücklich zu machen", wie er eher selbstbewusst als ironisch betont. Und hier denkt Graf nicht nur an die Menschen, die bereits regelmäßig Rad fahren, sondern an die viel größere Gruppe, die es könnte. Für sie müsse Rad fahren ebenso intuitiv und selbstverständlich werden wie die Benutzung eines Smartphones.

Bertram Giebeler

Aber geht das überhaupt? Skepsis scheint angebracht. Bertram Giebeler, der als verkehrspolitischer Sprecher des ADFC Frankfurt in die Rolle des "Advocatus diaboli" geschlüpft war, fasst die Kritik in Worte: "Wir werden uns in Deutschland auf Jahrzehnte damit anzufreunden haben, auf der Straße Rad fahren zu müssen", lautet sein ernüchterndes Fazit. Die in den Nachkriegsjahrzehnten geschaffenen Siedlungs- und Verkehrsstrukturen erlaubten mittelfristig nichts anderes. Selbst heute noch würden in Deutschland neue Siedlungen gebaut, ohne an eine Radverkehrsanlage zu denken. Dagegen wäre "eine Straße ohne Radweg in Holland wie bei uns ein Haus ohne Wasserleitung", spitzte Giebeler zu.

ADFC-Themenabend im Saalbau Gallus

Die so in Gang gebrachte, von Norbert Sanden geleitete Diskussion zeigte in den zahlreichen Wortbeiträgen neben einer breiten Zustimmung zu Grafs Argumenten vor allem viele Handlungsfelder auf, in denen die Realität zu nachhaltigem Unbehagen (auch potenziell) Rad Fahrender beiträgt: Autofahrer, die das Recht beanspruchen, ungehemmt im öffentlichen Raum parken zu dürfen; Kommunalpolitiker, die sich vor Verteuerung und Verknappung des Parkraums scheuen; Anwohner, denen ein Stellplatz für das Auto wichtiger ist als die Sicherheit Rad fahrender Kinder; Falschparker auf Radstreifen, die Radfahrer zum gefährlichen Einfädeln auf die Fahrbahn zwingen; der Gesetzgeber, der für Autos in den Städten hohe Geschwindigkeiten erlaubt; Eltern, die ihre Kinder per SUV zur Schule bringen und deren radelnde und zu Fuß gehende Mitschüler dadurch gefährden; fehlende sichere Abstellmöglichkeiten für Pedelecs, die Fahrraddiebstähle begünstigen; fehlende Beschilderung - und vieles andere mehr.

Wie all dem Herr werden? Eine einfache Antwort auf all diese Fragen kann auch Thiemo Graf nicht geben - aber Ideen und Ansätze liefern. So können Workshops mit Bürgern, in der die Verkehrssicherheit von Kindern im Mittelpunkt steht, sehr hilfreich sein. Letztlich sind es viele kleine Schritte, viele pragmatische Lösungen, die etwas verbessern können. Spätestens hier sind sich die Experten innerhalb und außerhalb des ADFC wieder einig. Und Mut macht der Beitrag der holländischen Verkehrsplanerin und Fahrradprofessorin Ineke Spapé: "Auch wir haben viele Fehler gemacht, aus denen Ihr lernen könnt. Und Städte wie Rotterdam und Eindhoven waren auch lange nicht fahrradfreundlich, das ist erst in den letzten Jahren passiert." Das zeigt, eine Änderung ist möglich.

Zu einem der nächsten ADFC-Themenabende wird Ineke Spapé als Expertin eingeladen sein. Dann wird es um Radschnellwege in Hessen gehen.


Die Präsentation Stressfrei Radeln von Thiemo Graf herunterladen

Die Präsentation (Koreferat) Wer in Deutschland Rad fährt, muss "Straße können"! von Bertram Giebeler herunterladen



Mehr Informationen zu Thiemo Graf, seinem "Handbuch: Radverkehr in der Kommune" und dem Institut für innovative Städte bieten diese Internetseiten.


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